Exzellente Forschung

Am Fraunhofer ITEM

Was tut sich in der Forschung für Gehörlose? Auf welche neuen Erfindungen können wir uns in den nächsten Jahren einstellen?

Immunologie

Antworten darauf will das Fraunhofer-Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin – kurz Fraunhofer ITEM – mit seinem Leistungszentrum „Translationale Medizintechnik“ finden. Das Institut forscht seit knapp 40 Jahren vor allem in den Bereichen Arzneimittelentwicklung und Chemikaliensicherheit und hat über die Jahre Expertise im Bereich der Translationalen Medizintechnik aufgebaut. Ein Thema ist die Entwicklung individueller Implantate für Menschen mit Hörschäden. Im Interview erklärt Institutsleiter Prof. Norbert Krug, wie Gehörlose künftig ganze Konzerte genießen könnten – und was der 3D-Druck damit zu tun hat. Weitere Themen: Was das Fraunhofer ITEM tut, um Frühchen das Leben zu erleichtern und Menschen mit Atemwegserkrankungen mit sicheren und wirksamen Medikamenten zu helfen.

 

Labor

Herr Prof. Krug, das Leistungszentrum „Translationale Medizintechnik“ gehört zum Fraunhofer ITEM. Was ist das Besondere an diesem Modell?

Norbert Krug: Das Leistungszentrum ist ein von der Fraunhofer-Gesellschaft entwickeltes Format, um Fraunhofer-Institute vor Ort mit Universitäten zu vernetzen. In Hannover sind das die Medizinische Hochschule Hannover und die Leibniz Universität. Im Leistungszentrum bearbeiten die Fraunhofer-Experten gemeinsam mit den beiden Unis Themen im Bereich der Medizintechnik. Ihr Schwerpunkt liegt auf Cochlea-Implantaten – also einer Art Hörprothese für Gehörlose, die Teile der geschädigten Hörschnecke im Innenohr ersetzt. Beide Seiten können hier mit wissenschaftlicher Expertise aufwarten.

Wie kann Ihre Forschung Cochlea-Implantate verbessern? Welche Rolle spielt dabei der 3D-Druck?

Krug: Cochlea-Implantate sollen individueller werden – regelrechte Unikate. Denn die Anatomie einer Hörschnecke ist bei jedem Menschen anders. Wenn man für jeden Einzelnen das passende Cochlea-Implantat herstellen kann, verbessert das seine Hörfähigkeit enorm. Doch mit standardisierter Fertigung kommt man hier nicht weit. So ist die Idee mit dem 3D-Druck entstanden: Wenn man Gehirn und Hörschnecke ausgemessen hat – etwa mit Computertomographie – lässt sich für jeden ein individuelles Implantat millimetergenau designen und vor Ort über den 3D-Drucker ausdrucken. Diese Technik will das Leistungszentrum vorantreiben.

Wie profitieren Gehörlose ganz praktisch?

Krug: Sie könnten sich sogar Konzerte anhören! So etwas ist bisher nicht möglich. Cochlea-Implantate übersetzen akustische Signale in elektrische Impulse und leiten sie ans Gehirn weiter, das sie wiederum in Töne umwandelt. Bei herkömmlichen Cochlea-Implantaten kann ein Mensch dadurch Töne zwar unterscheiden, aber nicht fein differenzieren. Je mehr Stromübertragungen es gibt, desto besser wird das Hörvermögen. Wird das Cochlea-Implantat also dementsprechend verfeinert, könnten Hörgeschädigte eine viel bessere Klangqualität genießen.

Wann werden die ersten maßgeschneiderten Cochlea-Implantate auf dem Markt sein?

Krug: Das wird noch einige Jahre dauern. Es gibt bereits Patentanmeldungen für die Implantate, allerdings ist das Gehör ein sehr sensibler Bereich. Deshalb müssen wir zuerst intensive Sicherheitsvorkehrungen treffen, bevor wir das Implantat für den Markt freigeben können. Das Material muss geschmeidig, verträglich und lange haltbar sein – vor allem angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung. Wichtig ist auch, dass das Immunsystem das Implantat richtig annimmt. Darüber hinaus fehlt noch der 3D-Drucker selbst: In der speziellen Form, wie wir ihn brauchen, existiert er noch nicht.

Analytische Chemie

 

Das Fraunhofer ITEM forscht auch an einer speziellen Beatmungstechnologie für Frühgeborene. Wie könnte sie den Kindern künftig das Leben erleichtern?

Krug: Frühchen brauchen eine bestimmte Substanz – sogenanntes Surfactant – damit sich ihre Lunge entfalten kann. Am Institut haben wir ein neues Inhalationsgerät entwickelt, das dem Kind die benötigte Menge sehr effektiv verabreicht. Momentan spritzt man die Substanz mit einem Schlauch in die Luftröhre des Kindes, während es unter Narkose steht. Mit dem neuen Gerät verteilt sich die Substanz genauso gut in der Lunge, nur dass es dabei auf die Nase gesetzt wird und damit das Frühchen nicht übermäßig belastet. Es gibt bereits einen Prototyp für das Inhalationsgerät, doch stehen noch Untersuchungen im Labor aus, bis es in den nächsten drei bis fünf Jahren bereit für den Klinikeinsatz ist.

Die Translationale Medizintechnik und speziell die Hörforschung ist ja im Vergleich zu den klassischen Forschungsbereichen des Fraunhofer ITEM nur ein sehr kleiner Teil. Eine besondere und langjährige Expertise hat das Fraunhofer ITEM in der Atemwegsforschung. Was zeichnet das Institut aus?

Krug: Wenn wir von Atemwegsforschung sprechen, dann meinen wir zum einen die Entwicklung von Medikamenten gegen Lungenerkrankungen und zum anderen die Erforschung des Risikos, das von luftgetragenen Stoffen ausgeht – seien es Chemikalien oder Stäube. Seit fast 20 Jahren untersuchen wir am Fraunhofer ITEM in Hannover die Wirkung von neuen Medikamenten an Menschen. Darunter sind gesunde Probanden, aber auch Patienten, die etwa an Asthma, Allergien oder COPD leiden, der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung. Diese frühen klinischen Studien führen wir im Auftrag von Pharmaunternehmen durch. Sie sind ein wichtiger Schritt, bevor Medikamente auf den Markt kommen. Nur so können Patienten am Ende sichergehen, ein wirkungsvolles und sicheres Produkt in den Händen zu halten. Bevor wir aber ein Medikament am Menschen direkt untersuchen, müssen Tests im Labor erfolgreich abgeschlossen sein – die sogenannten präklinischen Studien. Dafür entwickeln wir Methoden und Modelle, die Tierversuche vermeiden oder verringern. So eignen sich zum Beispiel Gewebeschnitte aus menschlichen Lungenzellen für die Untersuchungen. Die Zellen eines solchen Schnittes leben mehrere Tage und verhalten sich so, wie sich die Zellen in der intakten menschlichen Lunge verhalten.

Analytische-Chemie

Neben der medizinischen Atemwegsforschung forschen Sie auch zur Wirkung luftgetragener Stoffe auf die Atemwege. Wie hilft dies Mensch und Umwelt?

Krug: Wir prüfen Chemikalien oder Partikel auf ihr Risiko, die menschlichen Atemwege zu belasten. Dafür entwickeln wir Modelle, die die Situation im Menschen möglichst naturgetreu wiedergeben. Diese Untersuchungen helfen zum Beispiel den Arbeitsschutz zu verbessern und allgemein Grenzwerte festzulegen, um die Gesundheit zu erhalten. Dabei haben wir es insbesondere auf die Nanopartikel abgesehen – winzige Teilchen, die etwa in Sprays oder Hautcremes enthalten sind und deshalb ungefährlich für den Mensch sein müssen. Das interessiert nicht nur den Verbraucher, sondern auch die Industrie, denn sie nutzt Nanopartikel mitunter dafür, Substanzen geschmeidiger zu machen oder bestimmte Oberflächen gründlicher zu reinigen.

Wie profitiert die Forschung am Fraunhofer ITEM und im Leistungszentrum von der Exzellenzinitiative?

Krug: Im Exzellenzcluster kommen ganz unterschiedliche Expertisen zusammen: Da sind Physiker, Mediziner, Biologen, Materialwissenschaftler und Computerexperten – also eine sehr interdisziplinäre Gruppe, in der jeder seinen Beitrag leistet, um die Forschung voranzutreiben. Damit ein einzelnes Produkt besser wird, braucht es das Fachwissen jedes Einzelnen. Und das lässt sich in dieser Form der Verbundforschung zusammenführen. Wir profitieren natürlich davon, dass wir als Partner dabei sind, denn so können wir unsere Ideen weiterentwickeln – und sie auch rechtlich selbstbewusster vertreten. Darüber hinaus erhalten wir finanzielle Unterstützung, mit der wir zum Beispiel den 3D-Druck voranbringen können.

Welche Herausforderungen lassen sich durch die Exzellenzinitiative leichter meistern?

Krug: Wenn Forschung eine globale Rolle spielen soll, funktioniert das nur noch über eine Verbundforschung. Forscher im stillen Kämmerlein gibt es heutzutage nicht mehr. Stattdessen lösen sie Probleme zunehmend in Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern, oft über die Landesgrenzen hinweg. Nur mit einem Netzwerk hat man Erfolg und kann etwas weiterentwickeln.

 

Vorteile

So profitieren wir von der Forschung des Fraunhofer ITEM

Das Fraunhofer ITEM ist eines von 70 Instituten der Fraunhofer-Gesellschaft, der größten Forschungsorganisation für anwendungsorientierten Forschung in Eu...

lesen

 

 

 

Zuletzt aktualisiert: 07.03.2022